Die Häufigkeit der MS zeigte historisch ein klares Nord-Süd-Gefälle, zusätzlich sind in Küstenregionen die MS-Fallzahlen üblicherweise geringer als im Inland. Die Fallzahlen in Asien und Afrika sind im Vergleich zu westlichen Industriestaaten um bis zu zwei Größenordnungen (Faktor 100) niedriger. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich die evidente Folgerung, dass die MS-Häufigkeit vom Breitengrad (und damit der Jahressonnenstrahlungsdosis in der betreffenden Region), dem dort vorherrschenden Ernährungsverhalten und der genetischen Disposition der untersuchten Population abhängig ist.
Dieser ausgeprägt geographisch orientierte epidemiologische Aspekt bei der Entstehung der MS lässt sich jedoch inzwischen so nicht mehr aufrechterhalten. Der Grund hierfür liegt offensichtlich in der zunehmenden Veränderung des Lebensstils der Menschen parallel zur fortschreitenden Industrialisierung und unabhängig vom Breitengrad. So zeigt ein Vergleich der Ergebnisse einer Untersuchung an weißen Krankenschwestern Anfang des letzten Jahrhunderts in den USA typischerweise für die Teilnehmer in den nördlichen Bundesstaaten im Vergleich zu den Kolleginnen in den Südstaaten ein etwa dreifach höheres Risiko, an einer MS zu erkranken. Bei einer Folgeuntersuchung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts fand sich bereits kein signifikanter Unterschied mehr in der Häufigkeit der Multiplen Sklerose zwischen den Nord-und Südstaaten in diesem Kollektiv [Ascherio 2013].
Noch eindrucksvoller sind die Publikationen aus dem Iran, dessen Hauptstadt Teheran etwa auf dem 36. Breitengrad liegt. Dies entspricht den südlichen Mittelmeerländern und dem Süden der USA, also durchaus sonnenreichen Gegenden. Hier ist es im Rahmen der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem dramatischen Anstieg der Häufigkeit der Multiplen Sklerose gekommen. In Teheran zum Beispiel erhöhte sich die Krankheitshäufigkeit bei Frauen um den Faktor acht in nicht einmal 20 Jahren [Elhami 2011]. Ähnliche Verläufe fanden sich auch im übrigen Iran, insbesondere in den Großstädten. Da parallel zu dieser Entwicklung ebenfalls ein weit verbreiteter und ausgeprägter Vitamin D-Mangel im Land nachgewiesen wurde, von dem insbesondere die Frauen betroffen sind (verhüllende Kleidung), sind auch hier offensichtlich die Lebensstilfaktoren entscheidender für die Krankheitshäufigkeit geworden als der Breitengrad [Etemadifar 2013]. Diese Erkenntnisse haben natürlich eine hohe Relevanz für Überlegungen in der Primär- und Sekundärprävention der Multiplen Sklerose.
Das Faktenblatt Vitamin D und MS kann hier heruntergeladen werden »
Version: Life-SMS 21.05.2014