Dass Kaffee total ungesund ist, nicht nur für MS-Kranke, weiß doch sowieso jede/r, oder …? Furchterregende Horrorsammlungen finden sich auf Informationsseiten wie der des Zentrums für Gesundheit, ergänzend warnen manche Experten vor den im Kaffee enthaltenen Tanninen, die die Aufnahme von gutem Vitamin B1 behindern.
Die (wenigen?) MS-Erkrankten, die auf Koffein (auch in großen Mengen) regelrecht schwören, können sich allerdings mit einer gewissen Berechtigung auf Studiendaten stützen, denn schon 2008 ließ sich im Tierversuch nachweisen, dass Versuchsmäuse, die eine Koffeindosis (entsprechend etwa sechs bis acht Tassen Kaffee) erhalten hatten, nicht an EAE erkrankten (also an der experimentellen „Ersatz-MS“). Der Grund: Koffein scheint zu verhindern, dass sich Adenosin (ein körpereigener Stoff) an die ihm entsprechenden Rezeptoren andocken kann. Bindet sich das Adenosin nicht an seine Rezeptoren, können T-Zellen nicht in das zentrale Nervensystem gelangen – Schübe bleiben daher aus.
Nun sind wir allerdings keine Mäuse und halten auch deren Verhalten nicht unbedingt für auf uns übertragbar. Spannender sind da schon die Ergebnisse der 2012 und 2014 durchgeführten „Menschenversuche“ bzw. Studien an MS-Patienten, die zu ähnlich positiven Ergebnissen kommen. 2014 kam Ellen Mowry (Josh Hopkins University School of Medicine/Baltimore) nach der zu dem Ergebnis, dass zwischen vier und sechs Tassen Kaffee täglich das Risiko, an MS zu erkranken, um das anderthalbfache verringern. Auch starker Kaffeegenuss 10 Jahre (!) vor Ausbruch der MS soll Schutz bieten.
Schutz? Kommt für uns allerdings etwas zu spät – sonst würden wir uns ja nicht hier treffen. Wie also steht es nach Erkrankungsbeginn mit dem Kaffeekonsum? Die Belgierin Marie Beatrice D’hooghe hat hierzu 2012 eine Studie zum Kaffee-, Fisch- und Alkoholkonsum von MS-Patienten durchgeführt.
In der Gruppe mit schubförmig remittierender MS (RRMS) schritt die Erkrankung bei denen, die regelmäßig Alkohol, Kaffee und Fisch zu sich nahmen, langsamer voran als bei denjenigen, die diese Nahrungsmittel nie zu sich nahmen. In der Gruppe mit primär progredienter MS (PPMS) war kein Zusammenhang zwischen Alkohol-, Kaffee– oder Fischkonsum und dem Krankheitsverlauf zu erkennen. Bei der Patientengruppe ohne den Konsum von Fisch, Kaffee und Alkohol dauerte es durchschnittlich 25 Jahre bis zum Erreichen von EDSS 6 (im Alter von 56 Jahren), bei regelmäßigem Konsum der genannten Lebensmittel hingegen 30 Jahre (im Alter von 60 Jahren). Bei PPMS konnte zwischen Kaffeetrinkern und Nichtkaffeetrinkern kein merklicher Unterschied festgestellt werden.
Überzeugend? Nun ja. Wir sollten beim Ergebnis im Hinterkopf behalten, dass ein paar Parameter im „Studiendesign“ fehlen, wir also nicht wissen, ob die Testpersonen während der Studie ihre Ernährung oder ihr sonstiges Leben in irgendeiner Form umgestellt oder welche sonstige Therapie sie gegen ihre MS gewählt haben. So lässt sich höchstens mit gewissen Vorbehalten mitnehmen: Kaffee scheint nicht jeder Gesundheit zu schaden. Oder jedenfalls nicht jedem Gehirn.
Dabei sollten wir allerdings nicht vergessen oder unterschlagen, dass koffeinfreier Kaffee offenkundig keine neuroprotektive Wirkung hat, ergo das Koffein selbst schützend zu wirken scheint. Und Koffein ist eben nicht nur in Kaffee enthalten, sondern auch in grünem Tee. Und wer auf den umsteigt, hat’s vermutlich auch leichter, Milch und Zucker wegzulassen (wofür es wirklich gute Gründe gibt, siehe hier und hier.
© SB 05/2015
Literatur:
D’hooghe et al.: „Alcohol, coffee, fish, smoking and disease progression in multiple sclerosis.“ European Journal of Neurology 2012, 19: 616–624.
Federation of American Societies for Experimental Biology. „Caffeine Prevents Multiple Sclerosis-like Disease In Mice.“ ScienceDaily. ScienceDaily, 8 April 2008. (Link: www.sciencedaily.com/releases/2008/04/080407162405.htm)
Mowry et al.: „Greater Consumption of Coffee Is Associated with Reduced Odds of Multiple Sclerosis”, American Academy of Neurology’s 67th Annual Meeting, Scientific Sessions S45.004